80°N - Mein Bordtagebuch

  • Fortsetzung von Samstag, 2. Juni



    Der Wind hat die Wolken weggeweht, wir können also hier bei klarem Wetter den ersten endlosen Sonnen Nicht Untergang dieser Reise verfolgen.
    Es ist so schön, dass man gar nicht weiß wo man hinschauen soll, am liebsten in alle Richtungen zur selben Zeit.
    Das ist schon eine Runde Hochprozentiges wert, großzügig von Heiko spendiert. Und so stoßen wir denn klangvoll auf die Midnatsol an, die denn auch die brav ein gutes Stück über dem Horizont bleibt, und sich erst nach 1 Uhr langsam wieder anschickt zu steigen. Als wir gegen Zwei Uhr schlafen gehen, ist es bereits wieder taghell.



    Sonntag, 3. Juni


    Heute ist Ausschlafen angesagt. Eigentlich schade, denn so verpassen wir den Blick auf den letzten Küstenabschnitt. Hammerfest hätte ich gerne bei schönem Wetter gesehen, aber da hätte ich recht früh aufstehen müssen, und womöglich gar nicht viel gesehen, da dieser Hafen diesmal nicht auf unserem Fahrplan steht.
    Inzwischen haben wir die Porsanger Halbinsel hinter uns gelassen und steuern auf Honningsvåg zu, wo wir um 8 Uhr anlegen.
    Wir hatten vor zwei Jahren Frühstück am Nordkap, deshalb unternehmen wir statt des Ausflugs einen kleinen Spaziergang bis zur östlichen Landzunge.
    Etwas Bewegung tut uns gut und beschert uns außerdem die Sichtung einer Herde von Rentieren und ein paar nette Eindrücke des friedlich in der milden Sonne dösenden Ortes. Obwohl ich kein Fussballfan bin, beeindruckt mich der stattliche Fussballplatz mit dem sattgrünen Rasen. Niedlich sind auch die Miniaturweiden, knapp 20 cm hoch, sie tragen gerade die ersten Weidenkätzchen.
    [an dieser Stelle steht in meinem Bordtagebuch wie das mit den Rentiergeweihen ist und warum Rudi Rednose in Wirklichkeit ...
    Aber das wisst ihr erfahrenen Nordlandkenner ja alle schon längst]
    Den Aussichtspunkt mit der Büste von Knut Eric Jensen haben wir auf der letzten Reise besucht, deshalb ersparen wir uns den steilen Weg dort hinauf. Während Mamie sich wieder aufs Schiff begibt, erkundige ich noch den kleinen Bootshafen.
    Laut Fahrplan sollte die Nordstjernen Honningsvåg um 4 Uhr verlassen, es geht aber noch nicht gleich weiter, denn erst muss getankt werden. Schließlich liegen ja anderthalb Tage auf offener See vor uns. Kong Harald ist inzwischen auch angekommen, verlässt jedoch den Hafen vor uns. Hier trennen sich nun unsere Wege endgültig, während das Hurtigrutenschiff Kurs auf Kjøllefjord nimmt, fahren wir der Küste von Magerøya entlang dem Nordkap zu. Über die Höhen kommt Nebel gekrochen und sorgt für dramatische Stimmungsbilder.
    Es ist jetzt auch etwas Wind aufgekommen, seeuntüchtige Passagiere befürchten bereits eine unruhige Überfahrt und greifen besorgt zur Pille.
    Das Helnes Fyr ist für uns der letzte Gruß der Zivilisation, denn vom Nordkap sehen wir nur den felsigen Fuß, oben sitzt die übliche Wolkenkappe und verhüllt undurchdringlich jeden Blick auf das Nordkap Center. In der Tat hatten die Besucher des Nordkap Ausfluges heute ungefähr die gleiche Aussicht wie wir vor zwei Jahren: Grauer Nebel, bleifarbenes Meer. Das hätte sich also kaum gelohnt.
    Vom Schiff aus haben wir jedoch gute Sicht auf das viel flachere Kniviskjelodden, das mit seinen 71°11’09 eigentlich der nördlichste Landvorsprung ist.
    Hier drehen wir ab und fahren mit Kurs Nord und 7 Grad West auf die Barentssee hinaus.
    Schon bald verschwindet die von Nebel verhängte Küste Magerøyas am Horizont.
    Der Wind ist wieder abgeflaut die See bleigrau und ruhig.
    In einer kleinen Info Veranstaltung erzählt uns Guide Heiko, was uns in Spitzbergen alles erwartet.
    Meine Augen schmerzen etwas, ich bin es nicht gewohnt den ganzen Tag die starke Brille auf zu haben.
    Für die nächsten Stunden gibt es außer Wasser sowieso nicht viel zu sehen. Wir gehen zu Bett.

  • Wenn jemand sieben Monate braucht, um einen Reisebericht zu schrieben, dann ist entweder der Schreiberling schrecklich langsam, oder der Bericht entsetzlich lang


    Hallo Skippertje,


    find ich gar nicht. Ich mag jeden Reisebericht, egal wie alt er ist. Nachdem ich das Forum erst nach meiner ersten Hurtigrutenreise gefunden habe, wollte ich auch ganz schnell nach meiner 2. Reise einen Bericht der Herbstreise 2012 einstellen. Hat dann aber gedauert, da ja auch die Bilder erst mal alle gesichtet werden müssen. Hatte mir dann die Feiertage rund um den Jahreswechsel ausgeguckt und bin dann aufgrund des "Live-Berichte-Bombardements" zum Jahreswechsel vor lauter Lesen nicht mehr zum Schreiben gekommen.
    Und nun sind 3 Monate seit meiner Rückkehr vergangen und ich habe mich entschlossen - passend zur Jahreszeit - erstmal mit einer Berichterstattung meiner 1. Reise im Winter 2012 zu beginnen. Ist jetzt schon fast zwölf Monate her.
    So komme ich auch erst jetzt langsam mal wieder dazu, neben allen aktuellen Themen hier im Forum, mich in die "normalen" Reiseberichte einzulesen.


    Vielen Dank für Deinen Reisebericht. Ich fahre (auch sieben Monate später) gerne mit. :sdanke:
    Toller Bericht mit superschönen Bildern. :!:

    Liebe Grüße, Goldfinch
    :ilhr:



    Links zu meinen Reiseberichten: siehe Profil ...

  • Und nun sind 3 Monate seit meiner Rückkehr vergangen und ich habe mich entschlossen - passend zur Jahreszeit - erstmal mit einer Berichterstattung meiner 1. Reise im Winter 2012 zu beginnen. Ist jetzt schon fast zwölf Monate her.

    Danke Goldfinch, das mit dem langsamen Schreiben und dem schrecklich langen Berich war nicht ganz ernst gemeint.
    Ich hab das Forum leider erst nach meiner zweiten Reise kennen gelernt und bin sehr beeindruckt von den vielen Liveberichten. Damit hätte ich wohl eher Mühe so schnell etwas druckreifes zu produzieren. An meinem Film habe ich ein gutes halbes Jahr gearbeitet, neben meiner normaler Büroarbeit natülich.
    Dass man hier auf verschiedenen Schiffen und zu verschiedenen Jahreszeiten mitreisen kann finde ich grossartig.
    Dann bin ich ja mal gespannt und freue mich schon auf deinen Reisebericht und mache mal gleich weiter mit


    80°N - Mein Bordtagebuch

    Montag, 4. Juni


    Ich wache gegen zwei Uhr mal auf. Es ist taghell, gemütlich stampft die Nordstjernen Richtung Norden, wir haben jede Menge Zeit, Verzögerungen durch stürmisches Wetter waren im Fahrplan einberechnet, aber die See ist jetzt noch ruhiger als gestern Abend. Nach einer weiteren Runde Schlaf scheint mir die Sonne direkt ins Gesicht. Wir ziehen uns nach dem Zwiebelschalen System an und begeben uns an Deck. Die Sonne hat sich inzwischen hinter den Wolken versteckt. Einige Möwen begleiten Schiff. Gegen Zehn Uhr befinden wir uns auf 74,5 °N und nähern wir uns Bjørnøya. Die Bäreninsel hat ihren Namen von dem großen Eisbären den ihr Entdecker Willem Barentz hier angetroffen hat.
    Ob es hier auch heute noch Eisbären hat weiß ich nicht, aber die schroffen Felsen der Südspitze, werden von Vogelkolonien bewohnt. Die Gegend steht unter strengem Naturschutz, Boote von mehr als 12,2 m Länge müssen während der Brutzeit vom 1. April bis 31. August eine Seemeile Abstand zur Insel halten. Dass es auch sonst nicht ratsam ist, sich dem felsigen Ufer zu nähern, macht das Wrak eines russischen Tankers deutlich. Weiße Gischt um die Insel zeigt, dass hier unter dem Wasserspiegel gefährliche Klippen lauern.
    Unnahbar sieht Bjørnya aus, die vegetationslosen Höhen mit dem über 500 m hohen Miseryfjellet sind in dichte, graue Wolken gehüllt.
    Jetzt fliegen noch viel mehr Möwen um das Schiff und ganze Scharen von weißen und schwarzen Vögeln bewegen sich in rhythmischem Auf und Ab über den Wellen. Während ich oben an Deck mit der Videokamera auf „Vogeljagd“ bin ist Mamie auf dem Zwischendeck am Angeln.
    Fischern und solchen die es mal versuchen wollen, sind Angelruten zur Verfügung gestellt worden. Einigen ist sogar Erfolg beschert. Gleich mehrere
    wunderschönen Arktiskabeljau hat der Herr neben ihr aus dem Wasser gezogen, erzählt Mamie, die selbst kein Glück hatte, begeistert. Ich habe nur die
    Angelleinen über Bord hängen sehen, war zwar mal kurz unten, aber die Fische habe ich leider verpasst. Jedenfalls in lebendem Zustand, später konnte man sie dann, von der Schiffsküche zubereitet, am Buffet bewundern und kosten. Dafür habe ich den Tanz der Seevögel über dem Wasser einfangen können.
    Wir umfahren Stappen, die Südspitze des Bäreneilandes und setzen unsere Reise entlang der westlichen Küste fort. Dem flachen Nordende der Insel dürfen wir uns nähern, aber viel gibt es hier im trüben Licht des grauen Tages auch zu sehen. Erst als wir am Kap Duné vorbei gefahren und Bjørnøya hinter uns gelassen haben, bessert sich das Wetter wieder.
    Während des Tages sind keine weiteren Ereignisse zu verzeichnen. Kaum sind wir aber mit dem Abendessen fertig, werden Wale gesichtet. Die Entfernung ist groß, ich kann sie von bloßem Auge nur mit Mühe sehen und habe nicht das Glück der deutschen Dame, die offenbar ein Tier ganz nah beim Schiff hat auftauchen sehen.
    Etwas später sind dann am südlichen Horizont noch einmal Walgebläse zu sehen.
    Es geht immer noch kaum Wind, aber die Wolken haben sich inzwischen größtenteils verzogen.
    Im Norden kann man am Horizont bereits die weißen Berge von Sørkapp Land, dem südlichen Teil von Spitzbergen sehen.
    Bis Longyearbyen ist es aber noch ziemlich weit, wir werden erst morgen früh dort anlegen.

  • Dann bin ich ja mal gespannt und freue mich schon auf deinen Reisebericht und mache mal gleich weiter mit


    Habe Deinen Kommentar mit den 7 Monaten auch eher schmunzelnd aufgefasst. ;) Meinen Reisebericht findest Du hier.
    Bin also bemüht, meinen Reisebericht (von vor ca. 12 Monaten) parallel zu den anderen Reiseberichten einzustellen.



    Danke für Deinen neuen Tag.

    Liebe Grüße, Goldfinch
    :ilhr:



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    2 Mal editiert, zuletzt von Goldfinch ()

  • Dienstag, 5. Juni


    Ein wunderschöner, sonniger Tag. Wir sind während der Nacht der westlichen Küste entlang nach Norden und um Kap Linné herum in den Isfjord gefahren. Um 9 Uhr gibt es ein Briefing über den bevorstehenden Landgang. Eine Stunde später legen wir in Longyearbyen an. Eine geführte Tour mit dem Bus fährt uns ein Stück weit ins Adventdalen hinein, danach besuchen wir das Kulturhaus mit Bilderausstellung und Ateliers, die man betreten und den Künstlern bei der Arbeit zusehen darf. Es gibt auch eine Filmvorführung.
    Anschließend geht’s in Museum. Hier sehen wir nun aus nächster Nähe all die Tiere, die wir in den nächsten Tagen auch lebend anzutreffen hoffen. Es ist schon beeindruckend wie groß so ein ausgewachsener Eisbär ist. Darauf ihm irgendwo draußen so nahe gegenüber zu stehen wie hier, verzichte ich allerdings gerne.
    Immer wenn wir ein Gebäude betreten, müssen wir unsere Schuhe ausziehen. Das ist hier in der Kohlenbergwerksstadt so üblich und gilt für Touristen im Hotel genau gleich wie für die Bergwerksarbeiter im Supermarkt.
    Spuren des Kohlenabbaus sind hier überall zu sehen. Oben am östlichen Berghang sieht man den Eingang zur alten Grube 2b, die Julenissegruva, auf der gegenüberliegenden Seite, die Förderbahn, die Grube 1a Amerikanergruva und weiter vorne die Anlage der Sammelstelle. Dort spazieren wir nach dem Mittagessen hin. Der Weg führt uns über die Longyearelva, nach Gammle Longyearbyen, wo man den alten Friedhof mit den verblichenen Kreuzen und die Holzpfähle der ersten Siedlungen sehen kann. Ein Pärchen Wildgänse erweist sich als ziemlich unfotogen weil es uns die Kehrseite zeigt, das Schneehuhn hingegen bleibt ruhig auf Holzpflock sitzen und schaut neugierig in die Kamera.
    Weitere Eindrücke von Longyearbyen: die hübsche rote Kirche, die einsame alte Krankenhaustreppe, im Schnee spielende Kleinkinder, die Minenarbeiter Statue, die vielen vor den Häusern geparkten Schneemobile, die farbigen Häuser, vor allem das in verschiedenen Pastelltönen gestrichene Gebäude.
    Es ist Zeit wieder zurück zum Hafen zu gehen. Vom Schiff aus bekomme ich eine Gryllteiste beim Abtauchen in die Kamera.
    (Der zweite Teil dieses Tages folgt in Kürze)

  • Teil 2 von Dienstag, 5 Juni
    Um 18 Uhr verlassen wir Longyearbyen und erreichen nach etwa einer Stunde Fahrt den Grønfjord. Ob dieser Fjord zu einer anderen Jahreszeit tatsächlich grün ist?
    Unseren Augen bietet er sich eher als eine Sinfonie in Weiß, Grau und Schwarz dar. Das einzige Grün ist ein Container und der Anstrich des Hafengebäudes mit dem wunderschönen alten Telefon.
    Die düsteren Farben dieser Landschaft stehen jedoch in perfektem Kontrast zum Zartrosa am westlichen Horizont. Vom Hafen führt eine lange Holztreppe zum Ort hinauf. Barentsburg ist eine russische Enklave. Die Anfang 1900 von einer russischen Firma errichtete Zeche und der ganze darum herum entstandene Ort wurde 1920 die holländische Kohlenbau Firma NESPICO und von dieser dann nach dem Einbruch der Kohlepreise an die damalige UdSSR Regierung verkauft. Nach dem Fall der Sowjet Republik muss sich die Siedlung mit ihren Kohlenförderungen selbst finanzieren.
    Hier wird russisch gesprochen und mit Rubeln bezahlt, das heißt, genau genommen mit einer russischen, nur für Barentsburg Bergwerkarbeiter gültigen
    Kreditkarte, erklärt uns der Guide, zum Glück auf Englisch.
    Hübsch ist die kleine Holzkirche und die Verzierungen an den zwar teilweise etwas baufälligen älteren Häusern. Von der Schule mit der wunderschön bemalten Fassade sind wir sehr beeindruckt. Lustig sind die Möwen auf den Fenstergiebeln, mit lautem Gekreisch vollführen sie ihren Balztanz.
    Nach einem Glas Wodka im Bergarbeiter Restaurant mit der schönen Jugendstil Glastür begeben wir uns ins Kulturhaus. Im modernen Theatersaal werden uns von der Tanz- und Gesangsgruppe der Bergwerkarbeiter russische Volksweisen dargeboten.
    Schöne Stimmen, und sehr hübsch dargebotene Tänze in prächtigen farbigen Kostümen, die hier genäht wurden, wie uns der Guide versichert.
    Nach diesem Ohren und Augenschmaus dürfen wir noch schnell in den Souvenirladen, wo es von der Babuschka bis zum Sowjetstern alles gibt was irgendwie mit Russland zu tun hat.
    Dann heißt es rasch die vielen Treppenstufen zum Kai hinunter trippeln, um rechtzeitig wieder an Bord zu sein.
    Gegen Mitternacht steuert die Nordstjernen langsam dem in zartes Rosa getauchten
    Fjordausgang zu, dem nächsten Tag entgegen.

  • Mittwoch, 6. Juni (Teil 1)


    Über Nacht sind wir aus dem Isfjord hinaus und Spitzbergens Westküste entlang nach Norden gefahren. Kurz bevor wir den Magdalenenfjord erreichen sind Mamie und ich bereits wieder an Deck.
    Schon bald driften kleine Eisstücke an uns vorbei und am Ende des Fjordes sehen wir den Gletscherbruch blaugrün schimmern.
    Das Wetter ist gut und die Berge rings um den Fjord spiegeln sich klar, ohne eine Spur von Nebel im stillen Wasser. Mitten in dieser prachtvollen Kulisse geht die Nordstjernen vor Anker und wir werden mit den Polarcirkelbooten an Land gebracht. Es sieht aus, als wären wir die ersten die in dieser Saison hier an Land gehen. Keine Spuren sind im Schnee zu sehen. Am Ufer der kleinen Bucht brüten Seeschwalben. Geführt von unseren Guides stapfen wir auf die kleine Anhöhe einer Landzunge auf der anderen Seite der Bucht. Dabei treffen wir auf eine frische Bärenspur, ein Beweis dafür, dass die Waffen unsere Begleiter nicht Folklore sind. Schiessen darf man natürlich nur wenn es nicht gelingt das Tier auf andere Weise zu vertreiben.
    Was haben wir für ein Glück mit dem Wetter! Ich versuche mir kurz vorzustellen wie es hier bei Nebel oder Schneeregen aussehen würde. Es gelingt mir nur schwer, die Eindrücke dieser großartigen Landschaft sind zu stark.
    Die Sonne scheint, es ist richtig warm, wir haben mit 3-5 Grad gerechnet und uns viel zu dick angezogen, aber die Temperatur beträgt gut 15°C.
    Wieder zurück an unserer Bucht wagen sich doch tatsächlich einige Leute ins Wasser, darunter auch der Junge vom Nebentisch und die Dame die immer so elegant gekleidet ist. Wie mutig!
    Nach dem Badespass geht es weiter nordwärts. Hier oben an der Nordwestspitze der Insel driften nun richtig große Eisschollen an uns vorbei, auch einige große Eisberge werden gesichtet, von denen die Nordstjernen natürlich einen gebührenden Abstand zu halten hat und deswegen auch etwas auf Zickzack Kurs gehen muss. Um 16.15 überqueren wir den 80. nördlichen Breitengrad. Das wird mit einer kleinen Ansprache von Guide Heiko und einem Glas Sekt gefeiert. Wir danken dem Wettergott, dass er die Sonne scheinen lässt und Neptun, dass er die See so ruhig hält.
    Somit haben wirden nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht.
    Dieser Tag ist so lang und ereignisreich, dass ich hier mal splitte, morgen geht es weiter.

  • Teil 2 von Mittwoch, 6 Juni


    Wir haben jetzt den Kurs auf Ost gedreht und steuern auf Moffen zu. Das sind kleine, flache Kiesinseln nördlich von Gråhuken, auf denen eine Walrosskolonie zuhause ist. Kurz bevor wir dieses Ziel erreichen treibt ein einsames Walross auf einer Eisscholle backbord direkt am Schiffsbauch vorbei. Was ich da in der Aufregung falsch gemacht habe, dass diese Filmsequenz nichts geworden ist, weiß ich nicht, jedenfalls könnte ich mich dafür ohrfeigen. So bleibt mir nur die Erinnerung an den braunen Riesen, der beim Vorbeidriften den Kopf mit den großen Stosszähnen und den dicken Barthaaren hebt.
    Etwas später sichten wir dann die ganze Kolonie. Das heißt, noch bevor wir sie sehen, können wir sie riechen und merkwürdigerweise riechen sie nicht etwa nach Fisch, sondern sehr penetrant nach Dung, als hätte jemand hier Stallmist ausgefahren.
    Die Nordstjernen muss die vorgeschriebenen 300 Meter Abstand halten und kann nicht näher an die Tiere heran, aber damit wir bessere Sicht haben
    dürfen wir aufs Vorderdeck. Ziemlich faul liegen die schweren Jungs da im Sand. Auf dem Rücken, auf dem Bauch oder auf der Seite. Kaum einer rührt sich, nur ab und zu ein müdes Wedeln mit der Flosse. Bei einem Körpergewicht von 600 kg bis 1 Tonne ist diese
    Trägheit nicht verwunderlich.
    Nach einigen ereignislosen Minuten macht einer der Kolosse sich auf und robbt schwerfällig in Richtung Strand. Ich hoffe schon, dass er sich entschließt ins Wasser zu gehen um sich uns etwas zu nähern, aber nichts da, nach ein paar Metern lässt er sich wieder plumpsen. Ende der Vorstellung.
    Wir wenden wieder und fahren südwärts in den Woodfjord. Bäume hat es hier natürlich keine,
    seinen Namen verdankt der Fjord dem aus den sibirischen Wäldern stammenden Treibholz, das die Walfänger hier reichlich vorfanden. Wir fahren gerade dem flachen Landvorsprung Reinsdyrflya entlang, als der der Ruf „Eisbär voraus“ aus dem Lautsprecher tönt. Schnell aufs Vorderdeck!
    Auf der schneebedeckten Landzunge sind drei Eisbären zu sehen. Es scheint sich um ein Muttertier mit zweihalbwüchsigen Jungen zu handeln. Wir sehen ihnen eine Weile zu und können beobachten wie einer ans Wasser hinunter geht, wo er offenbar einen Fisch fängt. Schade ist die Entfernung so groß, dass man die Tier von bloßem Auge nur gerade Stecknadelkopf groß sieht, und zudem ist die Szene voll im Gegenlicht.
    Dies, die Schaukelbewegung des Schiffes und die Wasserspiegelung tragen nicht gerade zur Qualität meiner Filmaufnahmen bei. Ob ich da mit dem Digitalzoom, den ich noch nicht handhaben konnte, viel mehr erreicht hätte?
    Was soll’s es war auf jeden Fall ein großartiges Erlebnis.
    Während wir jetzt in den Liefdefjord fahren, ziehen Wolken auf. Der Monacobreen zeigt sich uns in geheimnisvoller nebliger Beleuchtung. Die gewaltige, mehrere Kilometer lange Front dieses Gletschers fällt direkt ins Meer ab, aber noch ist das Ende des Fjordes von einer geschlossene Eisdecke bedeckt, die uns einen guten Abstand aufzwingt.
    Nebel und Wolken begeleiten uns weiter auf der Reise, die uns jetzt um die Nordwestspitze herum, und dann wieder in Richtung Süden führt.
    Dieser Tag war der absolute Höhepunkt der ganzen Reise.
    Zum Abschluss zeigt uns das Wetter auch noch wie es mit weniger Glück anders hätte sein können: Nebel und Wolken verhüllen die Sicht und gegen halb Elf schneit es mal kurz.
    Nur das Meer bleibt völlig ruhig, als hätte Neptun vergessen, dass er auch Wellen machen kann.

  • Das Wetter hat es ja offensichtlich gut mit euch gemeint. Schon wieder zwei so schöne Tage mit Deinen tollen Eindrücken und Bildern. :sdanke:

    Liebe Grüße, Goldfinch
    :ilhr:



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  • Leider nähert sich auch diese Reise ihrem Ende


    Donnerstag, 7. Juni (Teil 1)


    Unser letzter Schiffsreisetag. Nach dem gestrigen Intermezzo zeigt sich der Himmel heute Morgen wieder von seiner besten Seite.
    Wir fahren in den Kongfjord, der sich wahrhaftig königlich präsentiert mit im hellen Sonneschein gleißenden Schnee, seinen prächtigen grünblau schimmernden Gletschern und den drei über 1000 m hohen Gipfeln der Tre Kroner im Hintergrund.
    Nach dem üblichen obligatorischen Briefing legen wir in Ny Ålesund an.
    Die Ortschaft besteht hauptsächlich aus Forschungsstationen verschiedener Nationen.
    Das chinesische Gebäude wird von zwei großen Marmorlöwen bewacht.
    Ny Ålesund ist die nördlichste, ganzjährig bewohnte Siedlung der Welt. Auch hier wurde früher einmal Kohle abgebaut und mit nördlichsten Eisenbahn der Welt zum Hafen transportiert. Die schöne schwarze Dampflokomotive und die dazugehörigen Wagons kann man jetzt noch bewundern.
    Sturmseeschwalben brüten hier, meist direkt am Boden, Warnschilder raten davon ab sich ihnen zu nähern, da die Vögel ihre Brut verteidigen, Störenfriede angreifen und mit heftigem Picken auf den Kopf vertreiben.
    Überhaupt sollte man hier möglichst auf den Wegen bleiben, da überall Messstationen stehen, die man sonst ungewollt beschädigen könnte.
    Wir können uns also die Amundsen Büste aus nächster Nähe ansehen, aber nicht einfach zum Mast hinlaufen an dem Nobiles Luftschiff verankert war. Ich denke aber, dass dieser Mast von hier auch nicht viel anders aussieht, als wenn man direkt davor stünde.
    Ins nördlichste Postamt der Welt darf man hingegen hineingehen, seine Post sogar eigenhändig mit den schönen Sonderstempeln abstempeln und anschließend im hübschen roten Briefkasten einwerfen.
    Gleich gegenüber steht das Hotel und weiter hinten landet gerade ein kleiner Flieger auf dem Flugplatz.
    Ich fotografiere noch die hübschen kleinen Blümchen am Bahndamm, dann müssen wir zurück aufs Schiff.
    Die Nordstjernen ist soeben dabei abzulegen, als der Ruf „Belugawale achtern“ ertönt. Eine kleine Gruppe von drei oder vier Jungtieren schwimmt da in der Bucht. Wir können einige Minuten lang beobachten wie ab und zu ein heller Rücken oder auch mal ein Kopf aus dem Wasser taucht, dann
    entfernen sie sich, tauchen schließlich ab und entziehen sich unseren Blicken. Das wurde natürlich mit der Videokamera festgehalten und da sieht man die Tiere trotz der Entfernung schon etwas besser als auf dem Foto.



    Im Souvenirladen in Ny Ålesund hat mich ein kleines Eisbärenbaby so niedlich angelacht, dass ich nicht widerstehen konnte ...
    Ich hatte zwar ziemlich Bedenken, ob das kleine Kerlchen es in einer Stadt wie Mailand aushalten könnte, und zunächst hatte Isy ja auch ziemliches Heimweh. Als er mir dann aber beinah täglich bei der Arbeit am Reisedokumentarfilm zusehen durfte, wurde es besser, und seitdem wir beide regelmässig Nordlandreisen im Forum unternehmen ist er recht zufrieden. Obwohl es ihn natürlich schon wieder zurück in den Norden zieht.



    Morgen geht's dann weiter mit Teil 2.

  • Teil 2 von Donnerstag, 7 Juni


    Vorbei an den mächtigen Gletschern Kongsvegen und Kronenbreen die hier ins Meer münden fahren wir auf die Ny Ålesund genau gegenüberliegende Seite des Kongfjordes. Hier liegt Camp Mansfield, auch Ny London genannt. An diesem verlassenen Ort sind die Spuren des unternehmerischen Misserfolgs eines gewissen James Mansfield zu sehen. Der Engländer hatte hier groß in eine komplette Anlage zum Abbau von Marmor investiert. Leider erwies sich das durch den Permafrost zermürbte Gestein nach dem Auftauen als völlig untauglich. Aus dem großen Marmorgeschäft wurde nichts. Die Grube ist heute nur noch ein mit Eis und Wasser gefülltes Loch, die Hütte von James Mansfield und seine ganzen Maschinen stehen als stumme Zeugen seines Unternehmergeistes in der Landschaft.
    Drei Rentiere suchen zwischen den Schneefeldern nach Moos und Flechten.
    Wir finden bestätigt, was uns Guide Heiko über die Svalbard Rentiere erzählt hat, sie sind in der Tat viel molliger und kurzbeiniger als ihre Artgenossen auf dem norwegischen Festland.
    Wir genießen noch einen Augenblick die wunderschöne Aussicht auf die Bucht, wo unsere Good Old Lady ankert, dann geht es wieder zurück in die Boote und aufs Schiff.
    Damit endet der letzte Landausflug dieser Reise.


    Schweren Herzens packen wir unsere Koffer und stellen sie aufs Zwischendeck, danach gibt es ein kleines Abschiedstreffen
    im Achtersalon. Die Zertifikate der Überquerung des 80. Breitengrad Nord werden verteilt und die mutigen Gletscherwasser Schwimmer bekommen dazu noch ein extra Eisbären Zertifikat.
    Die ganze Mannschaft ist vor uns versammelt. Kapitän Karlsen hält eine Ansprache, dann singen sie uns alle zusammen ein Abschiedslied.
    Es klingt ziemlich polychromatisch aber es kommt von Herzen. Wir sind gerührt.


    Keine Frage dass man jetzt nicht einfach ins Bett gehen und die paar Stunden bis zur Ankunft in Longyearbyen verschlafen kann.
    Ich mache noch eine Runde mit der Kamera im Innern des Schiffes. Wenn wir die Nordstjernen jemals wiedersehen, dann bestimmt nicht mehr so wie sie heute ist. Ihr werde ich in meinem Film auf jeden Fall ein spezielles Kapitel widmen.

  • Freitag, 8. Juni


    Nachdem wir alle Vorbereitungen für das Auschecken getroffen haben, bleiben wir also an Deck und erleben die Fahrt durch die von der Mitternachtssonne zauberhaft beleuchtete Landschaft des Isfjord wie einen Traum. Und anderen Passagieren geht es wohl genauso.
    „Isn’t it like a dream?“ Sagt mein Tischnachbar mit gedämpfter Stimme. Er hat seineKamera eingepackt, „I won’t take a picture of that, because it is not possible to take pictures of a dream“.
    Spitzbergen Guide Ralph spielt wehmütige Weisen auf seinem Schifferklavier, man möchte am liebsten die Zeit anhalten …
    Aber der Zeiger rückt erbarmungslos und pünktlich um 2 Uhr morgens legen wir in Longyearbyen an.
    Während wir von Bord gehen versuche ich an irgend etwas belangloses zu denken, und bloß Mamie nicht ansehen jetzt, sonst wird der Kloss in meinem Hals noch größer.
    Der Flybus bringt uns zum Flughafen und dort haben wir dann jede Menge Zeit. Wir stehen noch eine Weile vor dem Gebäude in der Sonne und betrachten den Isfjord und das Seeschwalbenpaar das auf dem hohen Mast nistet.
    Der hübsche Flughafen hat ein handliches Format, keine endlosen Gänge und Rollbänder. Gepäckaufgabe, Check-in, Sicherheitskontrolle alles liegt schön beieinander und das Rollfeld ist gleich hinter der Wartehalle. Da steht auch unser Flieger schon.
    Ich kann mir wieder einen Fensterplatz ergattern und bekomme, dank wunderbar klarem Wetter noch einen letzten, prachtvollen Eindruck von Spitzbergen.
    Kaum sind wir über die Südspitze der Insel hinaus verhindern Wolken die Sicht. Die geschlossene Wolkendecke lichtet sich erst eine halbe Stunde vor dem Anflug auf Oslo.
    Dort endet unser Reiseabenteuer, denn der Rest ist eigentlich schon beinah wieder Alltag.


    **********
    Die Eindrücke dieser Reise ware so gewaltig, dass wir sie anfänglich kaum in Worte fassen konnten.
    Erst nach ein paar Monaten, als sich alles "gesetzt" hatte wurde uns so richtig bewusst, was wir da alles erleben durften und erfüllt uns mit großer Dankbarkeit.
    Meine Arbeit am Dokumentarfilm hat dann alles noch vertieft, beim Montieren, Schneiden und Vertonen waren die ganzen Erlebnisse wieder hautnah da.
    Die Reise war einmalig und nicht wiederholbar, nur allein schon deshalb, weil es die letzte Saison der Nordstjernen war.
    Nach Svalbard würde ich schon gerne wieder mal, aber irgendwie habe ich fast ein wenig Angst, dass ich, vielleicht wegen schlechtem Wetter oder so, bei einem nächsten Besuch enttäuscht sein könnte. Wenn das nur nicht so teuer wäre! Dann könnte man einfach öfters mal hin.
    Ein realistischeres Ziel wäre vielleicht im Herbst mal eine Teilstrecke zwischen den Lofoten und Kirkenes zu fahren, auf der bei Hurtigruten verbliebenen Good Old Lady MS Lofoten.

  • Toller Bericht, schöne Bilder !!! Haben wir auch ne Chance, Deine Videodoku zu sehen zu bekommen ?

    Es grüßt Capricorn :hut:


    7/11 RW // 3/12 NX // 7/12 FM/VE // 3/13 VE // 1/14 TF // 3/14 LO // 7/14 NX // 4/16 FR // 3/18 VE // 7/19 FR


  • Hallo Skippertje,


    ich habe heute bzw. gestern abend zu viel Kaffee getrunken und bin noch supermunter. ;( Vertreibe mir gerade die Zeit hier im Forum statt mich "nicht-schlafen-könnend" im Bett hin- und herzuwälzen. Lieben Dank für den Bericht eurer Reise und die (mal wieder) superschönen Bilder. :thank_you: Bei den Flugbildern kann ich gut verstehen, wie schwer Dir der Abschied von der Reise wahrscheinlich gefallen ist (klingt zumindest auch so?).



    Die Reise war einmalig und nicht wiederholbar

    Kann ich gut verstehen. Ist mir nach meiner ersten Hurtigrutenreise genauso gegangen. Die zweite Reise im gleichen Jahr habe ich auch nur gemacht, da ich mir sicher war, mich innerlich auf eine neue Reise mit neuen Eindrücken einlassen zu können und nicht zu vergleichen.


    Meine Arbeit am Dokumentarfilm hat dann alles noch vertieft

    Mmmmmh :hmm: , kann man den Film irgendwo sehen? Das würde mich sehr freuen. Und was das Vertiefen angeht: geht mir ein Jahr nach meiner ersten Reise noch genau so. Und wo ich gerade dabei bin, meinen Reisebericht hier einzustellen, ist alles sofort wieder präsent.


    Die Eindrücke dieser Reise ware so gewaltig, dass wir sie anfänglich kaum in Worte fassen konnten.


    ... ohne Worte gut nachvollziehbar.


    LG

    Liebe Grüße, Goldfinch
    :ilhr:



    Links zu meinen Reiseberichten: siehe Profil ...

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