Schiffbruch auf offener Bühne - oder Hurtigrutens "Kulturwoche"

  • Klare Worte findet der Journalist Egon Holstad aus Tromsø über das gerade in der Aufführung befindliche Drama "Hurtigruten". Ich will sie Euch nicht vorenthalten, die Übersetzung dürfte aber recht holprig sein, gerade wegen der Vielschichtigkeit des Wortes "Kultur" im Norwegischen... Aber lest nur selbst:


    "Es war wahrscheinlich eine harte Woche für Hurtigruten. Und während das Management weiterhin Champagner trinkt und dem Orchester, das pflichtbewusst an Deck spielt, andächtig zuhört, sehen wir Andere einen langsamen Schiffbruch auf offener Bühne.

    Die meisten Menschen, die an unserer langen Küste leben, von Bergen im Südwesten bis Kirkenes im Nordosten, haben eine Beziehung zu Hurtigruten oder Hurtigruta, wie wir es nannten, wo ich aufgewachsen bin. Die nächste Anlaufstelle für uns war Bodø, und da die Stadt zusätzlich eine eigene Brauerei hatte, war ich sehr neidisch auf Bodø.


    Hurtigrutas Einlaufen war ein wunderschöner und sich wiederholender Film, der immer in einer neuen, visuellen Verpackung geliefert wurde. Bei klarem Meer zur Sommerzeit, in der Mitternachtssonne unter träge herumfliegenden Seeadlern. Im Winter peitscht das wilde Meer und schwanken sie in Richtung Kai: robuste, schöne und sichere Schiffe.


    Und Hurtigruta war so viel mehr als ein Schiff. Hurtigruta. Es ist ein Wort, das so viel enthält. Hurtigruten war das Symbol für etwas, das die Küste des Landes verband und Menschen, Autos, Fisch und andere Güter sowie Südnorweger und deutsche, japanische und amerikanische Touristen beförderte. Das Anbordgehen bei Hurtigruten hatte etwas andächtiges, man trat sowohl in die Geschichte als auch in die Zukunft ein.


    Nach ein paar Distanzreisen bekam ich endlich die ganze Strecke mit, und ich liebte jede Welle, die wir mit dem ehrwürdigen Schiff nahmen, das längs der Küste und über raue Fjorde fegte.


    Die Lofoten von Hurtigruta aus zu erleben ist vorhersehbar spektakulär, aber die Küste ist noch viel mehr. Nicht zuletzt ist die stark unterschätzte Helgelandküste, von der man nur lose Konturen von der E6 oder Nordlandsbanen aus sieht, ist wie eine Postkarte. Auf Hurtigruta ist diese Strecke ein visueller Bonbon. Und selbst wir Nordländer, die in Bezug auf die Natur leicht prahlerisch und blasiert werden können, lassen uns von Hurtigruten aus von den Küsten im Süden gefangennehmen.


    Der Ton des Nebelhorns wärmt das Herz aller, und die besonders Glücklichen erleben, dass sich Nord- und Südgeher auf dem mächtigen Vestfjord treffen, einander tutend passieren, während die Passagiere von ihren Decks aus freundlich einander zuwinken.


    Jeder Anlauf, mit dem schönen Anblick Wartender, die ungeduldig ihren Lieben winken und sich ihnen um den Hals wirft, wenn sie an Land gehen und sie wieder vereint sind, so, wie es über hundert Jahre gewesen ist. Unsere Hurtigruta. Unsere Hurtigruten. Das Volksboot. Ein wesentlicher Bestandteil der Postkarten von Tromsø, wo es elegant unter der Tromsø-Brücke entlangzieht, im Hintergrund die Eismeerkathedrale und Tromsdalstinden.


    Karl Erik Harr, Kari Bremnes, Halvdan Sivertsen, Ragnar Olsen und einige andere haben Hurtigruta in ihren Werken liebevoll und ehrfürchtig Denkmäler gesetzt. Nein, das ist wirklich nicht nur ein Schiff. Und deshalb hat das Küstenvolk applaudiert, dass der Staat dazu beigetragen hat, die Schiffe über Wasser zu halten. Weil die Küste es verdient und sie braucht.


    Oder besser gesagt: es war nicht nur ein Scghiff. Jetzt ist es kaum noch ein Schiff, sondern eine Rennomierkreuzfahrt mit dem Kiel in der Luft, die in den Abgrund des Soundtracks der Kommunikationsberater geraten ist, die versuchen, Verantwortung und Anstand mit bedeutungslosem Gebrabbel und Geschwätz zu verschleiern.


    Dass die alten Schiffe schließlich nicht besonders schnell waren und durch große Kreuzfahrtschiffe ersetzt wurden, musste man einfach akzeptieren. Es musste Grenzen des Altmodischen und Wertkonservativen geben. Selbst Eigentümer- und Flaggenwechsel sowie betriebliche Umorganisationen haben es nicht geschafft, die Marke bei den meisten Menschen ernsthaft zu beschädigen.


    Hurtigrutens Website zeigt spektakuläre Fotos von Kreuzfahrtpassagieren zusammen mit Pinguinen und bietet aufregende Kreuzfahrten in schwimmenden Hotels nach Südamerika, in die Karibik, nach Nordamerika, Island, auf die britischen Inseln, nach Spitzbergen und in die Antarktis.


    Wir haben all diese unsportlichen Entwicklungen schmerzlich akzeptiert, einfach weil Hurtigruta eine unglaublich starke Position bei den Menschen hat. Aber jetzt ist es genug für die meisten Menschen. Das berühmte Krisenmanagement des Corona-Skandals ist auf dieser Seite des "komischen Ali" [gemeint ist Muhammad as-Sahhaf, der irakische Informationsminister während des Dritten Golfkriegs. /B.] beispiellos. Als der Ermittlungsleiter Jan Fougner am Donnerstag den Hurtigruten-Bericht vor der Presse durchging, war es die Darstellung eines tödlichen Reputationsunfalls, minutt for minutt.


    Zynische Ausbeutung und Sozialdumping von Niedriglohnarbeitern aus einem Land mit massiven Coronaausbrüchen. Verschweigen wichtiger Informationen. Verbreitung gefährlicher Fehlinformationen. Elende Kommunikation mit Passagieren, Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Presse. Ein verwirrter und unkluger Schiffsarzt. Taxifahrer, die unter die Räder geworfen wurden. Warnungen, die nicht beachtetwurden. Und so weiter. Die Liste der skandalösen, dummen und unmoralischen Entscheidungen ist länger als die Küste des Landes. Alles bloß, um sich selbst zu retten, keine Passagiere oder Bürger.


    Wenn Petter Stordalen wirklich bedrückt aussieht und Trygve Hegnar besorgt und verlegen ist, merkt man, dass es ernst ist.


    Und alles erreichte seinen Höhepunkt, als Hurtigruten-Konzernchef Daniel Skjeldam am selben Tag von NRK Dagsnytt Attens Sigrid Sollund interviewt wurde. Bis zu sieben Mal versuchte sie tapfer, eine vernünftige Antwort aus ihm herauszukitzeln - ohne Erfolg. Es war die miserable Kultur des Unternehmens, auf die sie in dem Bericht ausdrücklich hinwies und zu der sie eine Stellungnahme zu erhalten suchte.


    "Welche Signale und Botschaften haben Sie angesichts dieser Missstände gegeben?" Fragte sie Mal um Mal. Die Antworten waren seltsam, da sie Skjeldam von Kommunikationsberatern vor der Sendung eingepaukt wurden. Es war eine bizarre Seance. Skjeldam warf die Nebelkerze:


    "Wie ich bereits sagte, zeigen die Stimmungsumfragen, die wir häufig durchführen, dass es in der Organisation viel Positives gibt. Es ist jedoch klar, dass wir, wenn wir wie jetzt einen Bericht erhalten, diesen ernst nehmen müssen, und prüfen müssen, wie wir die Unternehmenskultur weiter verbessern und zielgerichtet weiterarbeiten können."


    Die Uhr, die Reise, die Nebelkerze machte Skjeldam weiter.


    "Die Hurtigruten-Unternehmenskultur ist das Wichtigste, was wir haben. Sie ist die Grundlage für Sicherheit, die immer an erster Stelle steht."


    Standhaft stellte Sollund weiterhin dieselbe Frage, gefolgt von zunehmend vagen Antworten. Das Wort Kultur wurde in zweistelliger Zahl verwendet, in so vielen Facetten und mit so vielen verschiedenen Zwischentönen und Schattierungen, dass es immer komischer wurde, geschweige denn lächerlich. Ich begann zärtlich an Jan Erik Volds Gedicht Gedicht Kulturuke zu denken [das auch ohne jeglichen Übersetzungsversuch für Jedermann verständlich ist/B.].


    Jan Erik, triff Deinen Chef. "Kukutelur", "Tuklekuru", "Kuruketul", nimm' einen Keks. Skjeldam hat angelegt!


    Das ist der lustige Teil davon. Hinter dem unfreiwilligen Kulturhumor verbirgt sich eine tiefe Ernsthaftigkeit, bei der ein ehrwürdiger Akteur, der geschaffen wurde, um die Küste zusammenzubinden, von einer Bande übernommen wurde, die selbst die klassischen Kreuzfahrtunternehmen als Wohltätigkeitsorganisationen erscheinen lässt. Sie schaffte es, die Regierung davon zu überzeugen, das Geschäft zu starten, als alle anderen am Kai blieben, und sie hat auf jede erdenkliche Weise kläglich versagt, als die Pandemie in ihre Registrierkassen einzog.


    Von der Leben und Gesundheit Anderer gefährdet und alle Energie aufgewendet wurde, um das eigene Hinterteil zu retten, anstatt Passagiere, Gesundheitspersonal, Taxifahrer und normale Menschen an die erste Stelle zu setzen, und für die der größtmögliche Gewinn in kürzester Zeit Anstand und ein Mindestmaß glaubwürdiger Selbstprüfung aussticht.


    Es ist unsere Gesellschaft, sind unsere Schiffe und geschichtsreiche Küstenkultur, die jetzt von dieser überbezahlten Gang verarscht werden. Und jeder sieht es.


    Bedenke das, wenn du Verantwortung und Anstand in einen Wischwasch über Kultur und Unkultur einspinnst."

  • @BRITANNICUS ganz herzlichen Dank für die Übersetzung. Das ist ein Trauerspiel. Ich denke an die vielen Mitarbeiter auf den Hurtigrutenschiffen die einen tollen Job machen und nun unter diesen Auswirkungen zu leiden haben. Ich bin wirklich gespannt wie es weitergeht.

  • Der Bericht macht mich traurig.
    Den selben Text kann man bei vielen alteingesessenen, bestens funktionierenden Firmen mit loyalem Personal anwenden, deren oberste Etage auch überbordet ist.
    Ja, Hurtigruten hat einen ganz speziellen Ruf (gehabt) in der ganzen Welt, der ganz schnell runtergezogen wurde und immer noch wird.
    Wie fühlen sich wohl die Crews der Küstenschiffe, die immer alles geben, damit es den Passagieren gut geht, und die Schiffe immer heil am Ziel ankommen.

  • @Islandpferd das geht mir genauso.


    Und außerdem: Wenn Familien- oder Traditionsunternehmen an "Investoren" verkauft werden, bleibt die "Kultur" jeglicher Couleur auf der Strecke. Gewinnoptimierung und Shareholder-Value zählen, alles Andere ist Papperlapapp.
    Das ist allerdings meine ganz persönliche Meinung.

  • @BRITANNICUS Auch ich möchte mich für die Übersetzung des Artikels ganz herzlich bedanken. Ich kann mich auch @Islandpferd nur anschließen, denn beim lesen des Artikels fielen mir sofort die Mitarbeiter ein. Es macht mich echt traurig und zum Teil auch wütend, denn diese machen wirklich einen super Job, der ihnen unwahrscheinlich viel abverlangt. Wie alle anderen "Kleinen" haben sie, wie so viele, nun am meisten darunter zu leiden.

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