2 Urlaube in 1 - Mit MS San Francisca vom Mittelmeer zur Elbe

  • 19.03.17 Strasse von Gibraltar und Tanger


    Ein kleiner Nachtrag zu den vorigen Tagen: SF braucht einen Bremsweg von 4,5 sm, um von halber Kraft / ca. 11 kn auf 0 kn zu kommen :8o: .


    Früh um 03:00 Uhr wanke ich schlaftrunken ein Deck höher auf die Brücke der SF :gutenmorgen: . Diese ist abgedunkelt, damit die Instrumente gut zu sehen sind. Ich kann an beiden Seiten Lichter erkennen, Schiffe liegen um uns herum. An Steuerbord ist ein großes, schwarzes Ding zu sehen, das sich wie ein UFO in unsere Welt verirrt zu haben scheint - der Felsen von Gibraltar! Wow! Das sieht ja wirklich spektakulär aus :8o: . Langsam fahren wir durch die Strasse von Gibraltar, die ca. 8 sm breit ist und bei Wind wie eine Düse wirken kann. Der 1. Offizier schimpft leise vor sich hin - der Lotse für Tanger meldet sich nicht, wir sollten um 06:00 Uhr anlegen. Nun wird wieder die Maschine gestoppt und SF liegt auf Reede vor der marokkanischen Küstenstadt Tanger. Mit uns teilen vier weitere Schiffe dieses Schicksal. Um seinem Ärger Luft zu machen, tobt sich der 1. Off. mit sportiven Übungen auf der Brücke aus - Liegestütze etc.


    Das Wetter ist herrlich, die Sonne scheint, ich blicke sehr interessiert auf den Schiffsverkehr, der sich um uns herum durch die Strasse von Gibraltar bewegt...


    Die neben uns auf Reede liegenden Pötte, die Al Bahia z.B., dürfen vor uns in den Hafen von Tanger, wir müssen uns weiter gedulden. Zumindest ist nun Funkkontakt zu den Lotsen in Tanger :thumbup: . Ich geniesse trotzdem das fast sommerliche Wetter, lese, und freue mich, an Bord zu sein :thumbup: .


    Endlich, um 14:30 Uhr kommt der Lotse auf unser Schiff! Als wir nahe am Hafen sind, kommen zwei Schlepper. Einer setzt sich hinten an das Heck von SF, der zweite Schlepper klinkt sich mit seiner Trosse bei uns am Bug ein. Gemeinsam, vom Lotsen mit Kommandos befohlen, wird unser Pott zu den anderen im Hafen befindlichen Schiffen geleitet. Das Wendemanöver ist noch spektakulärer als die Wendung der HR-Schiffe im Trollfjord :!: . Hammer, ist denn vorn noch Platz, rammen wir nicht jetzt die Al Bahia, diese angstvollen Gedanken schießen durch meinen Kopf X/ . Das Einparkmanöver gelingt, das Anlegen an den Kai selbst wird von Kaptein Andrew und dem Lotsen vom Fahrstand auf der Steuerbordnock vollführt. Um 15:30 Uhr am 19.03.17 sind wir in Tanger, eigentlich hätten wir schon am 17.03. um 01:00 Uhr hier sein sollen! Es soll aber zu starker Wind gewesen sein die vorigen Tage...


    Mit uns und der Al Bahia liegt noch MS Eleonora Maersk am Kai. Drei Containerbrücken beginnen bald, ihre "Rüssel" hinabzuklappen und mit dem Entladen zu beginnen. Fasziniert schaue ich von der Brücke oder aus meinem Kammerfenster den Aktivitäten zu :search: .
    An Landgang ist nicht zu denken, schließlich liegt die Stadt 35 km entfernt. Und SF soll ja die Verspätung aufholen.
    Um 18:30 Uhr beobachte ich einen wieder mal wunderschönen Sonnenuntergang - diesmal geht sie aber nicht über dem Mittelmeer unter, sondern über dem Atlantischen Ozean :8o: . Auf den freue ich mich gaanz besonders... :thumbup:


    to be continued...

  • Die Kombi aus Rührei und Ketchup ist fast noch leckerer als Schokolade


    ääähhh - NEIN... :fie:


    und bei Wind wie eine Düse wirken kann.


    Wem sagst du das - das ist der sogenannte Levante, der uns oft das Leben schwer macht.


    Es soll aber zu starker Wind gewesen sein die vorigen Tage...


    Stimmt - vom 15. - 17. blies der Levante sehr heftig.

    Meine Fahrten: FINNMARKEN - NORDLYS - NORDNORGE - KONG HARALD - VESTERÅLEN - LOFOTEN (5X) - FRAM

    Reiseberichte siehe Profil !


  • @Arctica: Danke für die Erklärung des Düseneffektes der Strasse von Gibraltar und der Erklärung für unsere Verspätung in Tanger :thumbup: .


    Ein Gedanke, bevor es mit dem Bericht weitergeht: Ich finde den Kontrast zwischen den Erlebnissen von @Laminaria in dem Bericht aus der Karibik auf der Mein Schiff 5 und meinen Erlebnissen auf SF faszinierend... :D


    Bericht to be continued...


    globe

  • @globetrotter71
    Ich finde den Kontrast ebenfalls faszinierend. Bisher gefällt mir JEDE Art von Schiffsreise und mit einem Frachtschiff oder Eisbrecher wollte ich schon immer gern einmal unterwegs sein. :P Da muss ich aber zu Hause noch Überzeugungsarbeit leisten. :(


    Viele Grüße
    Laminaria

  • Ja, so unterschiedlich kann reisen sein. Wobei meins wäre doch eher die Frachtschiffreise (die bei mir auch noch irgendwann auf dem Programm steht - wenn ich Urlaubsmässig nicht schon verplant wäre...).


    Danke für die Erklärung des Düseneffektes der Strasse von Gibraltar und der Erklärung für unsere Verspätung in Tanger


    Der Düseneffekt entsteht durch die (schon genannte Sierra Nevada) auf der einen Seite und dem Rif-Gebirge auf der anderen Seite. Der Windeffekt kann unabhängig der Jahreszeit entstehen und ist warm. Im Sommer erkennt man dass er losgeht, weil es einen Tag vorher windstill ist bei grosser Hitze. Er geht von lauem Lüftchen bis Sturm, von einer halben Stunde bis drei Wochen. Letzten Sommer blies er sechs Wochen ununterbrochen, was aussergewöhnlich ist und viele Neulinge dazu brachte nie wieder Urlaub an der Costa de la Luz zu machen - sechs Wochen konnte man praktisch nicht an den Strand, es sei denn man wollte sandgestrahlt werden :D Mehrmals im Jahr ist er so stark dass die Häfen Algeciras, Tarifa und Cádiz für ein oder zwei Tage gesperrt werden - so geschehen auch Anfang dieser Woche. Der Verkehr in der Strasse von Gibraltar ist nicht betroffen da es ja die Schiffe achtern trifft, aber der Querverkehr, sprich die Fähren nach Afrika trifft es.


    Der Verkehr durch die Strasse von Gibraltar wird übrigens von Tarifa trafico, eine Art Kontrollturm für Schiffe, überwacht

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  • Nochmals lieben Dank @Arctica :thumbup: .


    20.03. - 23.03.17: Seetage auf dem Atlantischen Ozean


    Am frühen Morgen des 20.03. linse ich mit verquollenen Äuglein um 03:00 Uhr aus dem Fenster meiner Kammer :search: . Die Scheinwerfer, die im Hafen beim Be- und Entladen taghell scheinen, sind erloschen, die Containerbrücken haben ihre Rüssel hochgestellt. Es gibt 2 Möglichkeiten: Entweder machen die Hafenarbeiter eine größere Pause - oder wir legen bald ab! Ich hoffe auf die letztere Möglichkeit :8o: . Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, spüre ich, dass Vibrationen durch das Deckshaus strömen. Die Maschine springt an! Bald darauf bewegt sich das Schiff vom Kai weg - ja, auf zur "letzten" Etappe nach Hamburg :rolleyes: , so mein Denken.


    Zwar haben wir deutliche Verspätung, aber ich denke optimistisch, dass wir so ca. 23.03. in Hamburg sein können... :8o:


    Ich lege mich nochmal aufs Ohr und stehe um 06:00 Uhr auf der Brücke. Kaptein hat Dienst :thumbup: . Wir unterhalten uns ein wenig, wir müssen immer uns 2-3 mal etwas sagen, bevor wir uns auf Englisch verstehen X/ . Auf Dauer wird dies anstrengend...


    Der Blick auf die Instrumente und die Angaben von Andrew ergeben folgendes Bild für die nächsten Stunden und Tage:


    1. SF fährt volle Pulle, der Fahrthebel "liegt auf dem Tisch" - gute 22 kn Fahrt :thumbup:


    2. Der Drehzahlmesser zeigt ca. 80 Umdrehungen pro Minute


    3. Bei dieser Leistung verbraucht der MAN - Motor mit 43.360 kw 150 t Schweröl in 24 Std.


    4. Ca. 12:30 Uhr soll die Umrundung von Kap Sao Vicente (Südspitze Portugals) in ca. 75 km Entfernung stattfinden


    5. Morgen (21.03.) um ca. 07:50 Uhr sollen wir Kap Finisterre (Nordwestspitze Spaniens und der Iberischen Halbinsel) in ca. 50 km Entfernung runden


    6. Auf der Biscaya sollen 4 m Wellen auf uns warten


    7. Dann wird SF ihre Rollanfälligkeit wegen ihrer 48 m Breite zeigen <X


    8. Ankunft in Hamburg am 23.03. um 15:00 Uhr :thumbup:


    Mit diesen Infos verziehe ich mich in meine Leseecke auf der Brücke, oder schnappe klare Atlantikluft auf der Nock. Diese wird auf einmal von Erdbeerduft parfümiert - häähh ?( . Der 3. Offizier steht neben mir und dampft seine E-Zigarette :smoker: . Ich frage ihn, ob ich mal nach vorn zum Bug laufen darf. Seine Antwort enttäuscht mich: Wenn der Kaptein ja sagt, muss jemand von der Crew mitgehen und ein Formular unterschrieben werden :pinch: . Zwar verstehe ich den Sicherheitsaspekt, verzichte aber in Zukunft auf solche "Exkurse" an Bord, dies gilt auch für den Besuch des Maschinenraums - ich frage erst gar nicht :fie: :nono: .


    Also bleibe ich im Deckshaus... 8|


    Ich geniesse es nun SF in voller Fahrt über einen langen Zeitraum auf dem Atlantik zu erleben. Da ja meine Matratze hart ist, spüre ich die Vibrationen und das "Schlagen" der Antriebswelle. Die Impulse haben einen schnelleren Takt, als wenn die Maschine halbe Kraft voraus fährt...


    Nette Abwechslung im Tagesablauf in den folgenden Seetagen sind natürlich die Mahlzeiten: :essen:


    Frühstück 07:30 Uhr: Bis auf Sonntags immer Rührei mit Ketchup und Würstchen, Brot, Butter, Käse, frische ;) H-Milch aus Belgien


    Mittagessen 11:30 Uhr: deftig, manchmal merkwürdige Kombis, aber doch schmackhaft, Säfte aus Zypern oder Sharjah (UAE)


    Abendessen 17:30 Uhr: (siehe Mittagessen)


    Die Überquerung von @effemuc s Freundin, der Biscaya, wird spannend. SF beginnt richtig zu rollen. Ich stehe auf den Nocks und auf der Brücke und gleiche die Bewegungen von Back- nach Steuerbord und zurück mit den Knien und aus den Hüften heraus aus. Macht Spass :thumbup: . Kein Anflug von <X .


    An diesem Abend, dem 21.03. kommen nach 18:30 Uhr von Westen her sehr dunkle Wolken auf... 8| . Schauer prasseln nieder, der Wind nimmt sprunghaft zu - und auch die Wellenhöhe!!! Mich erschreckt, wie schnell das geht :8o: :pinch: . Neben mir auf der Brücke steht Yuriy, der 1. Offizier. SF beginnt nun zu tanzen - ein Jubellaut entfleucht meiner Kehle :dance: . Action!!! Ich werde sogleich wieder eingenordet vom 1. :grumble: :nono: : Es kann nun gefährlich werden, die Wellen werden immer höher - er schimpft und bekreuzigt sich :hail: . Meine Euphorie und Freude kippt sekündlich ins Gegenteil :pinch: :wacko: . Ich denke nur: SF ist soo groß und auch für dieses Wetter gebaut worden...


    Ich verziehe mich in meine Koje - die Nacht wird heftig: Die starken Rollbewegungen lassen mich in der Koje herumkullern, Sachen fliegen durch die Kammer :8o: .


    Am nächsten Morgen, dem 22.03: In der Nacht gegen 04:00 Uhr haben wir die Biscaya verlassen, mache ich mir einen Kaffee auf der Brücke und studiere das Logbuch: Wir hatten 4 m Dünung aus NW, 3 m Wellen aus SO. Die Krängung, also Schlagseite, betrug 20 Grad. Nun haben wir bereits die Nordwestspitze Frankreichs passiert und sind in Höhe der Kanalinseln. Alles ok...


    Irgendwann am Vormittag werden die Vibrationen der Antriebswelle schwächer - ich schaue routinemäßig auf MT, wo wir sind - da sehe ichs: Nächster Hafen am nächsten Tag soll Antwerpen sein, keine Rede von Hamburg mehr!!! ?(


    Ich stürme auf die Brücke. Der 3. Offizier, Mykola, macht es offiziell: Wir werden nach Antwerpen fahren, ob Hamburg angelaufen wird, ist nicht sicher...


    Oh Mann :patsch: . Wie viel Geld habe ich noch, in Gedanken sehe ich mich schon per Zug die Nacht über von Antwerpen nach Kiel fahren... :pinch:


    30 Minuten später sitze ich beim Mittagessen, mein Handy habe ich routinemäßig dabei - da klingelt dieses!!! Häähh??? Verwirrt nehme ich den Anruf entgegen: Es ist die Reiseagentur Hamburg Süd, über die ich die Reise gebucht habe. Frau L. sagt mir, dass ich entspannt an Bord bleiben kann, denn SF wird definitiv am So, 26.03. in Hamburg anlegen. Die Pläne werden gerade hinter den Kulissen neu erstellt - die Schiffe bekommen diese in 3 Std. Morgen wird London angelaufen, dann am Sonntag Hamburg; Antwerpen dann erst, wenn ich in Hamburg schon ausgestiegen bin. Woahh...


    Das ist mal ne Ansage!


    Es ist faszinierend zu wissen, dass ich in diesen Minuten mehr weiss als die Schiffscrew... :rolleyes:


    Das folgende Mittagsschläfchen wird sehr geruhsam. Ich finde es sehr entspannend zu wissen, wie es nun weitergeht - und ich vertraue der Reiseagentur Hamburg Süd sehr :thumbup: .


    Als ich nachmittags auf der Brücke Kaptein Andrew treffe, lasse ich ihn in dem Glauben, dass er mir eine Neuigkeit zu überbringen hat. Ist vllt. nicht nett von mir, aber ich habe keine Lust mehr auf Diskussionen, es ist mir zu anstrengend! Morgen also nachmittags London, Sonntag früh 06:00 Uhr Hamburg, so der aktuelle Plan.


    Na dann...


    to be continued..

  • Absolut faszinierender Bericht!!!
    Tolle Bilder....Danke!


    Eine Frage hätte ich: Warst du der einzige Passagier?


    Und Rührei mit Ketchup, da werden Kindheitserinnerungen wach, das mus ich mir demnächst gleich mal machen! Hoffentlich schmeckt es immer noch so gut wie früher.....


    Warte schon ganz gespannt auf deine Fortsetzung!

  • 23.03. - 24.03.17 London


    Am vorigen Abend frage ich den 1. Off. Yuriy, wann die Durchfahrt der Strasse von Dover geplant sei. So ca. 03:00 Uhr soll ich auf der Brücke sein, so die Antwort...

    Zwar linse ich gg. 03:30 Uhr aus dem Fenster meiner Kammer, mir reicht aber der Blick - ich sehe Lichter an Back- und Steuerbord, viele Schiffe sind unterwegs - aber ich belasse es bei diesem "Schnuppern". Auf die Brücke mit Müdigkeit zu gehen, nee, habe keine Lust dazu :thumbdown: .


    Ca. 06:00 Uhr bin ich dann auf der Brücke, mache mir einen Kaffee an der Bar, checke Logbuch und die Instrumente :search: . Dieses Ritual ist sehr wichtig für mich. SF ist nun auf der Nordsee unterwegs, allerdings bin ich so weit südlich auf ihr noch nicht gewesen. Sie riecht etwas maritimer als der Atlantik, so mein Eindruck.


    Ca. 10 kn fahren wir, erst gg. 14:00 Uhr soll der Lotse an Bord, der das Schiff in die Themse nach London Gateway führen wird. Auf der elektronischen Seekarte sehe ich, dass der vorher ausgerechnete Kurs für unseren Pott eine weite Ausholbewegung vorsieht - SF soll Höhe Harwich von NO her in die Themse einlaufen. Bis dahin sind noch ein paar Stunden zu dümpeln... :huh:


    Die vorigen Tage geisterten Ankündigungen einer Übung durchs Schiff... :8o: . Ich gehe nochmals in Gedanken den Weg zur Muster-Station an Backbord auf dem B-Deck durch, schaue mir genau die verriegelte Tür an, durch die ich das F-Deck nach draussen, dem Rettungsweg, folgen soll... :search: . Es ist 10:40 Uhr, als das durchdringende Sirenengeheul durchs Schiff klingt :help-sos: . Meine Rettungsutensilien geschnappt (hatte diese schon aus dem Schrank genommen ;) ), aus der Kammer gegangen (nicht gestürzt), nach Backbord den Kabinengang durchquert. Leider hat der Mensch ja nur 2 Hände, deswegen muss ich die Tasche mit dem schweren Überlebensanzug und die Rettungsweste kurz ablegen, um den kleinen Hebel unten, der den Verschlussmechanismus blockiert, umzulegen, was leicht ist. Nun muss ich den "Schlüssel" umdrehen, dann mit ganzer Kraft den grossen Hebel nach oben drücken :wacko: . Etwas hektisch, genervt und ungeduldig reisse ich die Tür von innen auf - so, nu bin ich draussen :rolleyes: . Es müssen jetzt 4 Etagen nach unten gegangen werden, wobei die Treppen nicht in in einer Richtung positioniert sind :pinch: . Als ich unten auf dem B-Deck bei dem Rettungsboot ankomme, ist dort niemand - nein, zwei Crewmitglieder kommen gerade aus dem Deckshaus, sehen mich und geleiten den etwas aufgeregten Passagier noch 2 Decks weiter nach unten... Auf dem Poop-Deck befindet sich das Schiffs-Office. Hier hat der 1. Offizier die gesamte Crew (ausser Andrew, der schiebt Wache auf der Brücke), versammelt. Hach, der Paxe ist natürlich der Letzte, so denke ich :pinch: :wacko:
    Na, ja, es werden die verschiedenen Alarmtöne nochmals erklärt, dann werden Brandschutzthemen durchgegangen. 4 Crewmitglieder haben Schulungen durchlaufen, die als Brandbekämpfer auf dem Schiff eingesetzt werden können. Es wird alles nochmals erklärt, Schutzmasken aufgesetzt, die Schutzkleidung angezogen. Mannomann!!! Die kleinen Filipinos...Ich habe das Gefühl, dass die Ausrüstung einfach zu gross ist für diese Jungs. Dass sie im Ernstfall die richtigen Entscheidungen treffen und "funktionieren" - ich hoffe es sehr stark. Die Fluchthauben werden ausprobiert, der Überlebensanzug angezogen... Aaaber bitte ohne Schuhe, sonst geht es nicht :!: . Puuhh, nach 80 Minuten "Drill" entlässt uns der 1. Offizier Yuriy zum Mittagessen - er ist fix und fertig, so mein Eindruck :8o: .


    Ehrlich gesagt, ich möchte mir mit den gewonnenen Eindrücken einen Ernstfall jeglicher Art an Bord nicht vorstellen :pinch: .


    Nach dem Mittagessen, was in lebhafter Atmosphäre stattfindet (die Übung scheint das Gesprächsthema zu sein), verziehe ich mich kurz zu einem Schläfchen in meine Kammer.


    Ca. 13:45 Uhr gehe ich auf die Brücke - Andrew schiebt immer noch Wache. Der Lotse ist für 14:00 Uhr angekündigt. An Steuerbord überholt uns ein Yang Ming-Ungetüm, wir weichen nach Backbord aus, in Richtung Themsemündung.


    Es ist 14:40 Uhr, als das kleine Lotsenboot aus Harwich an Backbord heranfährt. Der Lotse klettert ca. 5 m die Jakobsleiter hinauf, dann erreicht er die herabgelassene Gangway, die ihn die restlichen 5 m an Bord kommen lässt :8o: - wow, wie spannend! Als er, vom 2. Offizier Nikita auf die Brücke geleitet wird, staune ich - denn der Lotse ist sehr erfahren... dass er soo behende noch die Leiter hochklettert - wow :thumbup: . Respekt!


    Er richtet sich auf der Brücke ein, lässt sich von Kaptein die wichtigsten Fahreigenschaften von SF erklären und sagt von nun an den Kurs an... An Backbord kommt ein Windpark in Sicht, an Steuerbord scheint das Wasser auch sehr flach zu sein, SF muss eine ziemlich enge Fahrrinne durchlaufen. Spannend, dies alles von der Brücke und den Nocks zu verfolgen :search: . Nach dem Abendessen ist auch Land zu sehen!


    In einer kurzen Pause, die sich der Lotse auf der Nock gönnt, erzählt er mir, dass an Steuerbord gerade das Städtchen Southend-on-Sea mit seiner 1,8 km langen Seebrücke zu sehen ist. Die Grafschaft heisst Essex. An Backbord ist Thamesport zu erahnen, die Küste gehört zur Grafschaft Kent. Ahaa! :8o:


    Die Themse verengt sich zusehends, im Dunst erspähe ich an Steuerbord voraus Kräne - London Gateway - da sollen wir hin! Zwei Schlepper kommen uns entgegen. Der Lotse funkt die Beiden an und dirigiert sie an die Positionen an SF - ich staune nur :8o: . Das gesamte Anlegemanöver mit 180 Grad-Wendung von unserem Pott dauert ca. 30 Minuten. Eine präzise Meisterleistung, wie ich finde, Hut ab vor allen Beteiligten :hut: . Ein echtes Erlebnis!!!


    Um 19:00 Uhr liegt SF fest am Kai von London Gateway. Es ist kalt draussen, ich verkrümele mich in meine Kammer. Jetzt kann ich per Handy UKW-Radio empfangen - BBC und Konsorten :musik: . Das Attentat von Westminster ist natürlich das Thema :S . Aber ich finde auch Musik zum Hören... Die Ladeaktivitäten beginnen - auch dieses beobachte ich, immer wieder faszinierend :thumbup: .


    24.03.17


    Als ich heute früh aus dem Fenster schaue, sehe ich Grau in Grau - Londoner Nebel :pinch: . Es wird weiterhin be- und entladen. Es fällt mir auf, dass die Spreader (die Greifer der Containerbrücken) doppelt nebeneinander angeordnet sind - so können jeweils zwei 40 - Fuss-Container auf Mal gegriffen werden :thumbup: .
    Angenommen, beide Kisten wiegen je 30 t (ihr Maximalgewicht), dann donnern ca. 60 t auf einen Schlag auf das Deck von SF - ein kleines Beben durchfährt das Schiff!


    Abfahrtzeit soll lt. Plan 23:30 Uhr sein. Durch die aktuelle Bedrohungslage sind alle Schotten (Türen) dicht auf SF, kein Durchkommen von innen nach aussen (besonders nicht von aussen nach innen auf das Schiff!!!). Zunehmend fühle ich mich auf dem Pott gefangen :thumbdown: .


    Ich höre Radio (mein Buch habe ich das zweite Mal durchgelesen), esse und schaue den Ladeaktivitäten zu. Nachmittags merke ich, dass frische Luft durch den Kabinengang zieht, Kaptein hat das Schott, dass an Steuerbord vor seiner Kammer ist, geöffnet. Ich nutze die Gelegenheit, Sonne und Frischluft zu tanken :thumbup: .


    Das tut gut :thumbup: .


    Die Sonne ist gerade untergagangen, da spüre ich, dass die Maschine anspringt und sehe, dass sich die Containerbrücken zurückziehen. Was, laufen wir schon aus? 19:15 Uhr legt SF ab - nun aber wirklich zu meiner letzten Etappe nach Hamburg! Die Fahrt Themseabwärts beobachte ich aus meiner Kammer heraus. :8):


    to be continued...

  • Kleiner Nachtrag zum vorigen Post "London": Die Fracht, die SF nach London brachte, verteilte sich auf ca. 4.000 Container; das bescherte dem Schiff eine Auslastung von 75 % und einen Tiefgang von 11,10 m!


    25.03. - 26.03.17 Nordsee - Hamburg


    Früh um 05:45 Uhr erwache ich und checke die Lage - um uns herum ist einiges los an Schiffsverkehr! Auf der Brücke, die Kaffeemaschine rödelt :gutenmorgen: , sehe ich, dass wir in Höhe des Seekanals sind, der von der Nordsee nach Amsterdam führt. Die Luft ist sehr kalt, mit einem frischen Kaffee lässt es sich aber auf der Nock aushalten :thumbup: . Meine Gedanken kreisen doch schon um die Ankunft morgen früh in Hamburg - wann kann ich per Shuttle zum Gate fahren? Von jedem Offizier bekomme ich eine andere Antwort :cursing: . Von einem festen Fahrplan ist die Rede; eine andere Version besagt, dass ich frei wählen kann - an der Gangway ist Funkkontakt zu den Shuttlebussen, die dann gerufen werden :8): . So was mag ich ja...



    Ein sonniger Tag begleitet mich auf SF - an Steuerbord sind die Westfriesischen Inseln zu erkennen, am Nachmittag die Ostfriesischen Inseln. Ich sitze auf der Brücke und höre Radio - leider findet keine Fussball-Bundesliga statt, denn morgen Abend ist Länderspiel in Aserbaidschan. Aber dennoch geniesse ich es, deutsches Radio zu hören :musik: .


    Der Elblotse soll um 20:30 Uhr an Bord kommen, per Funk wird vom Schiff ein Tiefgang von 12,20 m gemeldet. Nach Sonnenuntergang blicke ich aus meinem Kammerfenster und sehe erstaunt an Backbord ein sehr helles, kurz aufblitzendes Leuchtfeuer - Helgoland :!: . Na, den Felsen rammt so schnell niemand, so denke ich ;) . Der Schiffsverkehr ist nun dicht, um 20:00 Uhr ist Lotsenübernahme. Noch ist die Einfahrt in die Elbe weit entfernt - ich lege mich in die Koje, um die Elbfahrt zu erleben...


    26.03.17


    Als ich aufwache, die Uhr wurde um 1 Std. vorgestellt, ist es 03:30 Uhr :8o: . An Backbord ist das Kraftwerk Wedel zu erkennen - ohh, soo weit sind wir? :pinch:
    Langsam gleitet der Pott durch die Elbe, am Horizont ist der helle Schein von Hamburg zu erkennen. Meine Vorfreude auf die Zivilisation wächst...
    Auf Höhe des Airbus-Werkes Finkenwerder kommen zwei Schlepper, um das enge Anlegemanöver am Burchardkai durchzuführen. In Zeitlupe wird SF erst mit dem Bug voraus in das Hafenbecken gelotst, dann wird eine 180 Grad-Drehung vollführt. Am spannendsten ist jedoch das Einparken am Kai - wie im Straßenverkehr quetscht sich unser Pott in eine Parklücke. Vor uns liegt "CMA CGM Benjamin Franklin" mit ihren stolzen 400 m Länge und 56 m Breite. Hinter SF liegt "Callao Express" der Hapag-Lloyd mit 333 m Länge und 42 m Breite. Um 05:00 Uhr ist unser Pott in der Parklücke ;) . Längst habe ich mich innerlich vom Schiff verabschiedet.


    Ich beschliesse noch das Frühstück einzunehmen und dann von Bord zu gehen. Zum ersten Male sehe ich Kapitän Andrey am Frühstückstisch in der Offiziersmesse sitzen :!: . Zusammen mit dem 2. Offizier Nikita verspeist er das Frühstück. Ich bekomme Pancakes - es ist Sonntag! Lustlos mampfe ich, bin mit meinen Gedanken nur noch bei der Rückkehr in die Zivilisation...


    Ich verabschiede mich von Reinert, dem immer freundlichen Steward, von Edgar, dem Chefkoch, von Kaptein Andrew. Längst habe ich meine Sachen gepackt, per Lift fahre ich zum Poop-Deck - zur Gangway. Dort trage ich mich in eine Liste ein - muss meinen Pass zeigen :cursing: . Ich bin fertig mit diesen Restriktionen, Auflagen etc. Ich finde, dass es zu viel ist...


    Es wird mir gesagt, dass es Stunden dauern kann, bis ein Bus vorbeikommt - vom Schiff aus kann wohl nicht per Funk ein Shuttle bestellt werden. Ich gehe genervt ins Schiffs-Office. Hier treffe ich den 1. und den 3. Offizier an. Sie gucken verständnislos - ich sollte warten... :cursing:


    In meinen Reiseunterlagen befindet sich eine Liste der zuständigen Ladeagenten. Ich rufe auf das Handy des Agenten, der für Hamburg zugeteilt ist, an. Ich erkläre die Situation. Er versichert mir, dass er einen Shuttle-Bus rufen wird, es soll ca. 15 Minuten dauern.


    Erleichtert warte ich oben an der Gangway - noch bin ich an Bord von SF - der 12. Tag ist angebrochen! Endlich hält am Kai ein Kleinbus. Ich fliege förmlich die wackelige und schmutzige Gangway hinab :!: . Der Bus fährt den Kai Richtung Elbe, um dort zu wenden. Ich kann so nochmals die imposanten Dimensionen der drei Pötte bewundern, die hintereinander am Burchardkai liegen - 1 km Schiff ergibt das zusammengerechnet.


    Am Gate rufe ich per Handy ein Taxi - nochmals 20 Minuten Wartezeit :evil: . Aber das nehme ich nun in Kauf. Der Taxifahrer, der mich am Gate des Burchardkai aufsammelt, würde locker den Titel "Nettester Taxifahrer Hamburgs" gewinnen - so nett ist er. Ich genieße es, mit ihm zu plaudern. Nach ca. 20 Minuten Fahrt steige ich am Hbf aus. Woaahh - zurück im Leben :!: .


    Per Bahn fahre ich nach Kiel - um 13:00 Uhr schließe ich meine Wohnungstür auf. Das Abenteuer "Mit dem Frachtschiff vom Mittelmeer zur Elbe" ist zu Ende.



    Abschliessend noch ein paar Erläuterungen:


    Eigner der MS San Francisca ist" Frontline Norway". Verchartert ist das Schiff an die Reederei "Hamburg Süd". Die wiederum hat "Bernhard Schulte Shipmanagement Singapore" für das operative Geschäft verpflichtet. Überall an Bord findet man Schilder und Anweisungen, die diesen Namen im Briefkopf tragen.



    Ich bin froh, auf einem so großen Schiff gefahren zu sein. Ich habe es als Riesenprivileg empfunden, immer auf die Kommandobrücke zu dürfen! Allerdings gab es auch Einschränkungen, die mich dazu veranlassen, eine solche Frachtschiffreise nicht mehr zu machen! Auf einem kleinen Feeder nach Irland, zusammen mit Freunden, das kann ich mir noch gut vorstellen.


    Over und Ende :to_keep_order:

  • Frachtschiff-Reiseberichte sind ja meine Lieblings Reiseberichte und dieser landet in meinen Top 10 ganz oben, vielen lieben Dank dafür, Karsten... :thumbup:

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