Schönen guten Abend,
im Oktober 2010 waren wir zu fünft Bergen- Kirkenes unterwegs (Eltern, Kinder 15, 13, 10)
im Oktober 2012 waren wir zu fünft Bergen- Kirkenes- Bergen unterwegs (Eltern, Kinder 17, 15, 12)
im Oktober 2014 waren wir zu dritt Bergen- Kirkenes- Bergen unterwegs (Eltern, Sohn 14) - immer auf der MS Nordkapp, die sich vom ersten Moment an in unser aller Herzen gepflanzt hat.
Und nun, Ende Oktober 2016, sind wir zu zweit Bergen-Kirkenes-Trondheim unterwegs (nix Eltern, nur Ehe- und Liebespaar!), auf der MS Polarlys.
Wir wissen eigentlich aus drei Reisen, was uns erwartet, aber uneigentlich ist alles neu - kein an Kabinentüren hämmern, um Teenager zu wecken, keine Pizzeriasuche an Land, keine Narvesenplünderungen wegen Hungeranfällen, kein "ikke Grönsaker", kein Streitschlichten auf nüchternen Magen und schon gar kein "boah, immer diese langweiligen Ausflüge - wer will schon Kirchen besichtigen, wenn er WLAN hat?"
Es ist unsere erste grössere Reise ohne Sprösslinge, seit wir überhaupt welche haben, und völlig egal, welche Wundertüte wir diesmal auspacken dürfen, ich werde jede Minute davon auskosten, wo mein Mann allein mir gehört (ja gut, ein bisschen noch der grandiosen Welt um uns herum). Wir werden ganz bestimmt vieles ganz neu entdecken, was wir schon kennen, weil wir nur auf uns beide schauen müssen, und da wir seit fast einem Vierteljahrhundert gleich ticken, wird das eine Reise werden, die uns all die innere Ruhe zurückbringt, die uns in den letzten Monaten aufgrund verschiedener kleinerer und grösserer Katastrophen abhanden gekommen ist - die Absage der Fram-Reise im April war nur eines der "Highlights" seit Jahresbeginn.
Ich bin gespannt - und doch ganz gelassen.
Ich sitze nun im Café auf Deck sieben, geniesse die sanften Vibrationen unter mir, das leichte Schwanken und lasse den Tag Revue passieren.
25.10.2016:
Angefangen hat es ja schon mal grandios.
Aufstehen, anziehen, letzte Sachen einpacken, Koffer ins Auto, losfahren - und dann im Radio mitbekommen, dass die Region Aargau-Zürich grad mal wieder einen akuten Verkehrskollaps hat - sprich Stau auf der Autobahn, Stau auf allen Hauptstrassen, Stau auf allen Nebenstrassen und Schleichwegen....
Allein, dass wir eh immer viel zu früh am Flughafen sind, hat uns eine gewisse Ruhe gelassen - statt den üblichen 30, in der Rush-hour 40 Minuten haben wir 90 Minuten gebraucht.
Doch gut vorbereitet ist eben gut vorbereitet - Koffer abgeben, ohne Probleme durch den Security-Check, noch etwas Schoggi kaufen (man weiss ja nie, ob einen nicht mitten in der Nacht ein unsterbliches Verlangen überkommt!), und dann Boarding, für einmal zuallererst, denn die ganze Fram-Absage hat uns irgendwie Business-Class-Flüge beschert.(Fragt nicht mich, wie, fragt unser Reisebüro!) Doch - "small plane" bedeutet dann auch - nur zwei Plätze pro Seite, und so anders war der Flug Zürich-Copenhagen dann auch nicht, als wenn wir hinten gesessen hätten. Ab Copenhagen bis Bergen sassen wir dann aber in einem A320 - und da war es dann doch sehr komfortabel - und wir hatten einen Wahnsinnsausblick während des Flugs.
Bergen, Gepäck holen - ja, wo iss es denn? Unser Flug war nirgends angeschrieben, aber wir sahen auch nur Band 3 und 4. Irgendwo schienen wir falsch gelaufen zu sein, also fragten wir, wo Band 1 und 2 seien - und der nette junge Mann teilte uns erheitert mit, dass es die hier gar nicht gibt, dass unser Gepäck gleich auf Band 4 kommen wird. Ach so, das ist natürlich total logisch
Dann - Taxi, Terminal, Einchecken, Sicherheitseinweisung - und dann, ja dann war es da vor unseren Augen, das Objekt unserer Träume: ein Schiff, in den typischen Hurtigrutenfarben, in der richtigen Grösse - und es war sogar eine Kabine auf unseren Namen reserviert, aber erst später zugänglich. So mussten wir wohl oder übel das Schiff entdecken - was alles anders ist als auf der Nordkapp, wie der Umbau nun in echt aussieht, wie wir am schnellsten von unserer Kabine nach aussen kommen, wie der Cappuccino schmeckt, ein Pläuschchen mit dem Reiseleiter Marco, den wir von der Nordkapp kannten, den WLAN-Zugang kaufen - bis es dann soweit war und wir die Kabine beziehen konnten.
Dass die Schlüsselkarten nicht funktionierten, hatte nichts mit meiner bekannten Fähigkeit zu tun, die Karte zu entmagnetisieren, sondern mit einem hier laufenden Pilotprojekt, dass die Kabinennummer nicht mehr auf der Karte steht, und der Computer scheint dabei Schluckauf bekommen zu haben. Drin fanden wir dann eine Flasche Prosecco im Eiskübel vor, den konnten wir dann ja nicht verkommen lassen und das Auspacken ging dann recht unkoordiniert, aber lustig von der Hand. (Ich sollte einfach nicht auf recht nüchternen Magen trinken).
Das Abendbuffet war sehr ansprechend, es gab genug Platz (sind ja auch nur 145 Personen auf dem Schiff) und es wurde sehr schön nachgefüllt. Und schon wieder Alkohol - das inkludierte Weinpaket konnten wir ja auch nicht verkommen lassen
Und dann, endlich, nach über zwei Jahren Entzug war es soweit: wir legten ab. Fast alle anderen waren wohl auf Deck 7, da war irgendwas mit Champagner im Gang, aber wir bevorzugten wie immer unseren Stammplatz auf Deck 5 vorne unter der Brücke. Und plötzlich war der Alltag weg, die Sorgen, der Zeitdruck, und alles, was noch zählte war: wir sind unterwegs auf diesem grossartigen Erlebnis, das sich Hurtigrute nennt. Und obwohl wir eigentlich dachten, wir hätten die klassische Tour nach dreimal gesehen und genug davon: Blödsinn, die Faszination ist noch immer wie beim ersten Mal, eigentlich noch intensiver, weil man vieles nicht mehr muss, aber alles kann. Weil wir längst gelernt haben, dass für uns das wahre Erlebnis nicht Rundfahrten und Besichtigungen sind, sondern diese Momente, wo man mit sich und der Welt eins vorne draussen steht und diese Ruhe spürt und die Stille schmeckt.
Gute Nacht und herzlichste Grüsse
Jacqueline