Samstag, 14. Mai 2016 – Tag 4
Auf zur ersten Insel (Fortsetzung)
Wir sind aufgefordert worden, unsere Framjacken anzuziehen, da die letzten Passagiere in den Schauer hineingeraten sind und wir ja deren Thermoanzüge übernehmen müssen
Ich entschließe mich zur Variante T-Shirt mit dünner Regenhose und Framjacke. Normalerweise würde mir dieses Outfit bereits für den Landgang reichen, sofern wir uns dort bewegen können, aber jetzt kommt ja noch die Zwangsjacke (oder genauer: die Jacke, die wir zwangsweise anziehen müssen) drüber
Kaum bin ich angezogen, wird auch schon Gruppe 8 aufgerufen
Ich also nichts wie runter auf Deck 2, einen Regata (wie die Thermoanzüge offiziell heißen) in Empfang zu nehmen . Eine Bedienungsanleitung für den Anzug braucht man zum Glück nicht, aber jetzt müssen ja noch die Gummistiefel an die Füße und zur Krönung noch die Schwimmweste außen drüber. Jetzt die Fototasche noch irgendwie an mir befestigen, und dann kann es endlich losgehen – zur Warteschlange vor dem Ausgang
Ich habe Glück und kann schon aufs übernächste Boot. Es geht eine Metalltreppe runter auf eine kleine Plattform, an der das Boot vor Kopf festgemacht hat. Dort muss man warten, bis sich die Einstiegs-Plattform des Bootes auf gleicher Höhe befindet. Dann bekommt man ein Zeichen der beiden Helfer und muss rüber – kein Problem, wenn man sich genau an die Anweisungen hält
An Bord bekommt jeder seinen Platz vom Bootsführer zugewiesen, wobei man entweder rechts oder links aufrücken muss. Natürlich hält sich beinahe jeder zweite nicht daran – schließlich müssen Paare ja zusammensitzen, auch wenn das Boot dadurch Schlagseite bekommt In diesem Fall wird aber gar nicht diskutiert; die Falschsitzer werden auf die andere Seite geschickt, bevor der nächste an Bord darf
Nachdem alle ihren Platz eingenommen haben, geht es endlich los. Keine 3 Minuten später ist die Fahrt auch schon vorbei und um 19:45 Uhr betrete ich erstmals arktischen Boden. Oder genauer: eine Metalltreppe, die vom Expeditionsteam als Landungssteg ins Meer gestellt wurde. 2 Stufen runter, und man steht – nein, nicht an Land, sondern in der Brandung Noch zwei Schritte, und dann stehe ich endlich auf dem Festland (sofern man auch eine Insel so bezeichnen darf).
Wir befinden uns allerdings jetzt erst in der Empfangszone. Wir sollen unsere Schwimmweste ausziehen und uns dann an einer Stelle zur Einweisung sammeln. Dort erklärt uns Tessa, unsere Expeditionsleiterin, dass wir bis 21 Uhr Zeit haben. Wir dürfen nach links auf die Klippen, bis wir die dort stehenden Expeditionsteam-Mitglieder treffen. Nach rechts dürfen wir auf eine andere Klippe laufen, auf der sich eine Eisbär-Selbstschussanlage befindet. Geradeaus bzw. den Hang hinauf befindet sich der Ort, den wir natürlich auch besichtigen dürfen.
Nun dürfen wir die nächsten knapp 70 Minuten auf eigene Faust verbringen.
Den Regata können wir ausziehen, aber dafür müssen wir erst einmal die Gummistiefel ausziehen, uns da rausschälen, das Teil irgendwo lagern und hinterher wieder anziehen – das kostet mir einfach zu viel Zeit Ich ziehe den Reißverschluss so weit auf wie möglich und hoffe, dass ich es so halbwegs aushalten kann.
Auf geht’s also – im wahrsten Sinn des Wortes – auf die Hochebene, auf der ich von einem Regenbogen empfangen werde, nachdem ich den Ort schnell hinter mir gelassen habe Im Gegensatz zum Regenbogen (den ich bereits von der MS Fram aus gesehen hatte) verschwindet der Ort ja nicht so schnell; also kann ich ihn auch noch auf dem Rückweg besichtigen.
Ich folge dem Weg weiter den Klippen entlang, die sich oberhalb einer Bucht hinziehen. Die Bucht ist ganz nett anzuschauen, aber dafür sollen wir hier rüber laufen?
Ich will fast schon wieder umkehren, als ich von Dominic, unserem Bordfotografen, ein Stück nach vorne zum Klippenrand gewunken werde. Ich schaue, und tatsächlich gibt es etwas zu sehen:
Nun laufe ich ganz an der Kante wieder zurück, und richtig: Auf der anderen Seite der Klippesitzen noch mehr Papageientaucher. Ich stelle meine Kamera ein – und in dem Moment kommt die Sonne raus. Besser geht es wirklich nicht, zumal sich die Vögel nun richtig in Positur setzen.
Ich bin gerade mal 3 Meter von den Tieren entfernt, und sie lassen sich nicht stören, ganz im Gegenteil:
Dass wir wirklich Glück haben, zeigt auch der Auflauf des Expeditionsteams, dessen Mitglieder sich die schöne Aussicht nicht entgehen lassen wollen.
Ich kann mich kaum von den niedlichen Tierchen losreißen, aber ich möchte ja noch mehr sehen
Also laufe ich vorbei an einer Messstation zum Vogelfütter- und Beobachtungsplatz.
Vögel kann ich zwar hier nicht beobachten, dafür aber die eingerahmte MS Fram, das Küstenwachschiff sowie das Denkmal eines Seevogels – oder doch nicht?
Dazu aber später mehr
Vorbei an einem wohlproportionierten Haus mit fließend Wasser gehe ich weiter zum Wegweiser respektive Entfernungsanzeiger. 450 km von Tromsø, die gleiche Entfernung nach Spitzbergen, 1.900 km zum Nordpol – wir werden uns wohl auf etwas über 74 Grad nördlicher Breite befinden
Hier sehe ich auch die Auflösung, weswegen das Küstenwachboot wirklich hier liegt: es dient als Versorgungsschiff für die Besatzung der Station.
Ich habe noch eine knappe halbe Stunde Zeit – mal schauen, ob ich es noch zur Eisbärenjagd schaffe.
10 Minuten später stehe ich oben und werde Steinar und seinem Gewehr empfangen
Er erklärt mir die Funktionsweise der Selbstschuss-Anlage (Eisbären sind neugierig und werden von hohen Gegenständen angezogen. In der Klappe vorne liegt Robenfleisch, um das ein Faden gebunden ist. Das andere Ende des Fadens ist am Abzug eines Gewehrs befestigt. Den Rest kann man sich denken…). Er will aber sein Gewehr (natürlich nur aus Zeitgründen) nicht in die Falle einbauen, wie Steinar mir erklärt. Ich habe ihn gar nicht danach gefragt, aber anscheinend wollten wohl die Mehrzahl der Besucher die Falle in Aktion sehen.
Da es nach mir keiner mehr bis hierhin schaffen kann, erhalte ich noch eine exklusive Führung zu den Pomorengräbern aus dem 17. Jh. (Reste der zugehörigen Siedlung wurden interessanterweise nicht gefunden) sowie zu den Überresten eines deutschen Fischerhauses aus den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Nebenbei erfahre ich auch die Geschichte des „Seevogeldenkmals“ – es handelt sich um Motor und Propeller eines auf der Insel abgestürzten Flugzeugs.
Nun muss ich mich auch schon beeilen, um pünktlich meine Fähre zu erreichen.
Vorbei mit einem lokalen Symbol bemalten Trafokasten sowie dem örtlichen Fuhrpark eile ich zurück zu unserem Fährhafen – ich meine zur Landungsbucht.
Ich bin pünktlich da, aber zu einen ist das 21-Uhr-Boot bereits ausgebucht, und zum anderen muss ich mir ja noch eine Schwimmweste suchen und anziehen (was gar nicht so einfach ist, so ein Teil hat einfach zu viele Schnüre und Befestigungsösen).
Nachdem ich irgendwann reisefertig bin, darf ich das letzte Passagierboot nehmen und erreiche gegen 21:10 Uhr wieder die MS Fram. Nun muss ich noch die Gummistiefel sowie den Regata ausziehen – erst jetzt merke ich, dass ich ganz schön durchgeschwitzt bin
Auch wenn es jetzt wohl nur ein ganz kurzes Abendessen gibt (schließlich schließt das Restaurant in 15 Minuten), hat sich der Ausflug auf jeden Fall gelohnt!
Ich verlasse den Umkleideraum und bin ganz überrascht: bonimali hat mit dem Abendessen auf mich gewartet (auch wenn ich es ihr vorher anders gesagt habe).
Also schnell in die Kabine frisch machen und wieder runter zum Restaurant – jetzt haben wir noch 7 Minuten. Das Buffet sieht aber noch gut gefüllt aus, und wir dürfen auch noch in Ruhe essen. Selbst als wir 20 Minuten nach dem offiziellen Schließen gehen, werden wir noch freundlich verabschiedet. Zur gleichen Zeit macht das Schiff die Leinen los und das Expeditionsteam darf auch noch in Ruhe zu Abend essen.
Nun müssen wir aber rasch in den Panoramasalon, wenn wir die Modenschau nicht verpassen wollen! Wir kommen ein paar Minuten zu spät, bekommen aber trotzdem noch mit, dass die beteiligten Offiziere (einschließlich Kapitän) viel Spaß an den Vorführungen haben.
Gegen 23:00 Uhr – es ist immer noch taghell – geht unser Tag mit der Kabinenverdunklung zu Ende, während Bjørnøya langsam am Horizont im Meer versinkt.